Walter Klier zur Präsentation des neuen Buches von Alois Schöpf „Tirol für Fortgeschrittene“.

Kurzer Rückblick auf eine literarische Seelenverwandtschaft Wir kennen einander inzwischen schon ziemlich lange.
1978 las ich in der damals sehr bedeutenden tiroler Kulturzeitschrift "Das Fenster" eine Erzählung mit dem Titel "Der Tag eines Angestellten" von Alois Schöpf, die mich so weit beeindruckte, daß ich im Jahr darauf, 1979, in den Turmbund zu einer Lesung pilgerte, wo dieser Alois Schöpf eine neu erschienene Erzählung, "Zemanek oder eine Karriere", Benziger Verlag, präsentieren würde.
Wie einen die Erinnerung doch narrt. Von dem bis da Gesagten war ich vollständig und selbstverständlich überzeugt, bis ich anfing den Text zu schreiben, den ich Ihnen jetzt gerade zur Kenntnis bringe. Weil ich mir über den vollständigen Titel des "Zemanek" nicht mehr sicher war, schlug ich im ZVAB nach, das mich darüber belehrte, "Zemanek" sei 1981 erschienen, weswegen Alois das Buch schwerlich 1979 präsentiert haben kann.
Dabei habe ich den Abend im Turmbund in lebhaftester Erinnerung: der unvergessene Rudi ("Raoul Henrik") Strand mit seiner Goldkette, der teschener Sprachmelodie und ebensolchen Manieren ("Walterle!" und Küsse auf beide Wangen, was mir damals sehr unangenehm war).

Und wir schrieben ohne Zweifel das Winterhalbjahr 1978/79, als ich (eine Art journalistischer Lehr- und Wanderjahre) für die "neue tiroler zeitung" zwei oder dreimal die Woche loszog, um Lesungen oder Theateraufführungen zu besprechen. Deshalb kannte Alois auch meinen Namen schon, so wie ich seinen Namen kannte: aus der Zeitung. Die "neue tiroler zeitung", vormals "Tiroler Nachrichten", war die Parteizeitung der ÖVP für Tirol, die kein Mensch las, allerdings lag sie in Alois' elterlichem Gasthaus auf und daher las er sie, zumindest den Kulturteil, der, Jutta Höpfel sei dank, ein sehr ordentlicher war, wenn auch, wie der Rest des Blattes, von einer verheerenden Druckfehlerepidemie befallen.
So lernten wir einander also an jenem fernen Winterabend im Turmbund kennen und mußten nachher noch mitsammen ein Glas trinken gehen, was seither noch sehr viele Male passiert ist. Kurzum. Die Lesung fand eindeutig im Jahr 1979 statt, denn im Jahr drauf, als ein kleiner Freundeskreis, zu dem auch Alois und ich gehörten, die satirische Zeitschrift "Luftballon" gründete, waren wir zwei schon befreundet, zueinander hingezogen durch das geradezu manische Bedürfnis, sich über gelesene und noch zu lesende Bücher auszutauschen, und über die Literatur im großen und ganzen ebenso wie im kleinen und besonderen. Und über Gott und die Welt, wie das, zumindest zu unserer Zeit, die jungen Leute so taten. Bei uns beiden ist es seither so geblieben.
Sind wir nun beneidenswert jung geblieben oder nie erwachsen geworden? Immerhin haben wir es beide zu einem gewissen Renommé im kulturellen Leben sowie zu Weib und Kind und Eigenheim gebracht, und wie immer man das von außen oder gar von weiter weg beurteilen wird, jedenfalls kann ich von einem nun über Jahrzehnte gehenden intensiven und belebenden geistigen Naheverhältnis berichten, dessen Qualität eigentlich darin begründet ist, daß wir gar nicht immer einer Meinung sind, und einen die Meinung des anderen, sollte sie abweichen von der eigenen, doch auch nachdenklich stimmt. Wie sollte einen eine Meinung, die immer der eigenen entspricht, auch nachdenklich stimmen? Wenn sie es nie tut, ist es dann auch nicht recht.

Man ist versucht, wie die Kommissare im klassischen Krimi zu sagen: den Rest kennen Sie. Denn seit er 1984 eine ständige Glosse in der Tirol-Ausgabe des Kurier zu schreiben anfing (die später im ORF Tirol und dann in der TT ihre Fortsetzung fand), dazu eine inzwischen recht lange Liste belletristischer und essayistischer Bücher veröffentlichte, ist Alois Schöpf in Tirol eine öffentliche Figur, die, wie es im Journalistendeutsch heißt, "polarisiert". Und das nicht in der Art und Weise der bekannten Querköpfe, von denen er einige in seinem neuen Buch porträtiert, die man als steril, weil ideologisch fixiert und immergleich charakterisieren könnte, sondern gewissermaßen produktiv. Bei Alois weiß ich am Samstagmorgen, wenn ich die Tageszeitung aufschlage, nie, ob ich mich freuen werde oder doch einmal ärgern, und genau das ist seine Qualität, im persönlichen Umgang so wie in der Schreibe: eine, ich möchte sagen, Unberechenbarkeit des Denkens, die ihre Ergebnisse in der Überlegung, im Schreiben findet und nicht schon vor Beginn der Veranstaltung gefunden hat. Zur Sache Zum Anlaß – zum zweiten von den zwei Anlässen unseres heutigen Zusammenkommens: Das vorhin Gesagte führt uns auch schon mitten in das neue essayistische Buch von Alois Schöpf hinein.
Es handelt – unter anderen Dingen – vom Leben in der Provinz, genauer gesagt vom Leben eines Schreibenden, also geistig Arbeitenden auf dem Dorf.
Dass diese Form des Lebens auf dem Lande eine verschärfte Form dessen bietet, was der Intellektuelle auch in der Stadt erlebt, sofern er versucht, sich in einem Leben als gewissermaßen ganz normaler Mensch einzurichten, hat man ja schon ahnen können. Aber so prägnant wie hier habe ich es noch nicht dargelegt gefunden. Das Phänomen ist naturgemäß nicht auf den katholischen inneralpinen Raum beschränkt.
In der Besprechung zu einer neuen William-Faulkner-Biografie kann man etwa lesen, einer der Gründe für Faulkners Hang zur Verkomplizierung des Erzählens sei auch darin gelegen, sicherzustellen, daß seine Nachbarn nicht wußten, wovon da überhaupt die Rede war, weil sie ihm andernfalls die Scheune angezündet hätten, oder schlimmeres. Faulkner hat bekanntlich sein Leben in seiner engeren Heimat, in den Südstaaten auf dem Land zugebracht, und seine Büchern handeln von nichts anderem. PS. Die Sache mit meinem Erinnerungsmangel ließ mir keine Ruhe, und schließlich fiel es mir wieder ein: daß sich nämlich in dieser Geschichte noch eine andere Geschichte verbirgt.
Tatsächlich hat Alois im Winter 78/79 den "Zemanek" vorgestellt, unter der irrigen Meinung, daß das Buch demnächst erscheinen würde – was es aber nicht tat. Kein Verlag wollte das Buch nehmen, eine unangenehme bis entwürdigende Lage, in der sich zu allen Zeiten ungezählte Schriftsteller, gute und schlechte und mittlere und sonstige befunden haben. Ich kann mich noch erinnern, daß ich mit ihm zusammen beim innsbrucker Verleger Miess (der als Dichter Myss hieß) saß und Alois ihm die Idee einer von ihm selber herausgegebenen neuen literarischen Reihe unterbreitete, in der als Band 1 der Zemanek erscheinen sollte, als Band 2 waren Erzählungen von Willy Riedel vorgesehen, und Alois brachte netterweise mein damals gerade fertiggestelltes erstes längeres Prosastück, "Die Anfänger", zur Sprache. Im Endeffekt wurde daraus nichts, weil dem Verleger unsere Sachen offenbar doch nicht so recht geheuer waren, warum auch immer. Während eines Teils des Gesprächs, das sich um irgendwelche Interna drehte, bat der Verleger mich, für kurze Zeit in seinem Vorzimmer Platz zu nehmen. Ich nützte die Zeit, einen Blick auf sein Magazin zu werfen, wo sich neben verlagseigenen Titeln auch andere, darunter Exemplare von Erich Fromms "Die Kunst des Liebens" befanden.
Ich ließ das Büchlein mitgehen, ich war ja, wie an anderer Stelle ausgeführt, damals gegen alles Bürgerliche eingestellt, wozu auch der Eigentumsbegriff gehörte, meist allerdings zu feig, diese Haltung konsequent durchzuziehen.

"Die Kunst des Liebens" hat mir dann nicht sehr zugesagt, eher ein Geschwafel, fand ich, und ich stellte es einem Flohmarkt zu wohltätigen Zwecken zur Verfügung. Jedenfalls ließen Alois und ich uns nicht entmutigen und schmiedeten Pläne, einen eigenen Verlag zu gründen, der "Verlag der Erzähler" heißen sollte, ein, wie ich noch heute finde, guter Verlagsname, mit dem wir, hätten wir den Verlag tatsächlich gegründet, allerdings kurz darauf in zeitgeistbedingte Turbulenzen geraten wären, da im Verlagsnamen die dann schon obligaten Innen fehlten.

Gottseidank, wie ich im nachhinein sagen muß, hatten wir im November 79 ein diesbezügliches Treffen mit meinem Vater, den wir als erfolgreichen Wirtschaftstreibenden um Rat in Sachen einer Firmengründung fragten. Er fragte uns seinerseits über unsere Vorstellungen aus, insbesondere wie wir gedächten, das ganze zu finanzieren, was fast schon genügte, uns von dem Plan so ziemlich abzubringen. Vermutlich hätten wir als daynamische Jungunternehmer tatsächlich keine brillante Figur gemacht. Bald darauf akzeptierte Benziger den "Zemanek", und der Molden Verlag zeigte Interesse an meinen "Anfängern", und alles kam schließlich sowieso anders und nocheinmal anders, wie es im Leben so geht.